17. Februar 2008
Am Aschermittwoch gab’s mal wieder einen echten Oettinger: Der Ministerpräsident überraschte seinen Schulminister Rau und die erstaunte Öffentlichkeit mit einem Schnellschuss aufs Turbogymnasium. Er sah sofortigen Reformbedarf, nachdem das zuständige Ministerium tags zuvor erklärt hatte, grundlegende Reformen seien nicht vorgesehen.
Immerhin scheint es der Landesregierung allmählich zu dämmern, dass mit der überstürzten, undurchdachten und konzeptionslosen Einführung des achtjährigen Gymnasiums Chaos in vielen Gymnasien des Landes Einzug gehalten hat. Man kann eben nicht erwarten, dass etwas, was bisher in neun Jahren erledigt wurde, jetzt ohne Abstriche in acht Jahren gemacht werden kann, ohne dass dies ernsthafte Konsequenzen für den Unterricht und die gesamte Schule hat. Da die Mindeststundenzahl von 265 Jahreswochenstunden bis zum Abitur nicht gekürzt wurde, ächzen Kinder und Jugendliche unter einer 40-50-Stundenwoche.
Die Vorschläge von allen Seiten überschlagen sich insbesondere, seitdem die Hessenwahl für die CDU wohl auch wegen des Turboabiturs eher suboptimal ausgegangen ist. Die einen wollen den Samstagsunterricht wieder einführen, andere sprechen von gründlicher „Entrümpelung“ der Lehrpläne, was immer das heißen mag. Unser Ministerpräsident kam mit der skurrilen Idee, den naturwissenschaftlichen Unterricht zu kürzen. Als hätten wir nicht bereits einen Fachkräftemangel im naturwissenschaftlichen und technischen Bereich, der in Baden-Württemberg nach Berechnungen des Wirtschaftsministeriums zu einem Wertschöpfungsverlust von etwa 3,5 Milliarden Euro pro Jahr geführt hat.
Was unsere Gymnasien sicher nicht brauchen, ist ein Dauerfeuer aus Schnellschüssen. Und sie brauchen noch weniger lustige Einfälle, die einem Ministerpräsidenten eben so am Aschermittwoch spontan in den Kopf kommen. Das aus verschiedenen Gründen wünschenswerte achtjährige Gymnasium braucht vielmehr eine Gesamtkonzeption, eingebettet in eine Reformkonzept für das ganze Schulsystem.
Die SPD-Landtagsfraktion hat mit ihrem „Bildungsaufbruch“ Leitplanken für ein solches Gesamtkonzept entwickelt. Ich greife einmal zwei Punkte auf, die aus diesem Konzept zwingend folgen und mir besonders wichtig erscheinen:
• Die Schule der Zukunft ist Ganztagsschule. Viele Gymnasien wurden durch das Turboabitur faktisch zu Ganztagsschulen, ohne dem Lern-Tag für ihre Schüler einen anderen Rhythmus zu geben oder das Angebot der Schulen für Mahlzeiten oder Pausen und Freistunden zu verbessern.
• Ganztagsschulen brauchen keine Hausaufgaben. Der Ministerpräsident will Hausaufgaben in der Schule erledigen lassen. Sind sie dann noch Hausaufgaben? Oder nicht eher Schulaufgaben? Aber warum dann nicht noch den einen Schritt weiter gehen und Hausaufgaben abschaffen? Zumal erst kürzlich eine Studie von Bildungsforschern der TU Dresden einmal mehr ergeben hat, dass Hausaufgaben nicht dazu beitragen, dass sich die Noten der Schüler verbessern?
Natürlich ist dies nicht ein Allheilmittel. Und natürlich muss auch über Lehrpläne und Lernziele nachgedacht werden. Und die Reform des Schulsystems muss wesentlich umfassender sein, eine neue integrative Pädagogik der individuellen Förderung und Forderung hat noch weitaus tiefgreifendere Konsequenzen. Es wäre aber immerhin ein erheblicher Fortschritt, wenn die Regierung und der Kultusminister wenigstens diese zwei genannten Punkte ins Auge fassen und für die Umsetzung die notwendigen Ressourcen bereitstellen würden.
Ganz herzlich
Richard Dipper